Jedes Jahr gegen Ende des Sommers bietet sich dem geneigten Beobachter ein besonderes Spektakel. Heerscharen von Flachlandbewohnern pilgern mit ihren motorisierten Kutschen in die ländliche Bergwelt rund um das kleine Bergdorf am Rande der Zivilisation, um dort in den dunklen Wäldern im Unterholz nach schmackhaften Schwammerln zu fahnden. Über Jahrzehnte hinweg hatte ich das Privileg dieses Schauspiel live mit zu erleben. Ich möchte nun in einem kurzen Essay meine Beobachtungen hier mal festhalten.
Schwammerlsucher sind faszinierende Individuen. In der Regel sind sie in Rudeln von 2 bis 5 Exemplaren zwischen den Bäumen anzutreffen, aber auch Einzelgänger sieht man einsam auf der Jagd nach Pilzen durchs Unterholz streifen. Man kann Schwammerlsucher grob in drei Gruppen unterteilen:
Der ambitionierte Pilzsammler: Dieser Schwammerlsucher nimmt sich für sein Vorhaben Zeit. In der Regel wird ein halber oder auch ganzer Tag dafür eingeplant. Er schlüpft in festes Schuhwerk und kleidet sich in leichte wetterfeste Stoffe. Ausgerüstet mit einem Weidenkorb und eventuell sogar noch einem Rucksack schreckt er nicht davor zurück auf der Suche nach schmackhaften Pilzen mehrere Kilometer durch die Wildnis über Stock und Stein zurück zu legen. Schwammerlsuchen ist für ihn auch eine sportliche Herausforderung. Ist mal ein kleines Schwammerl gefunden wird sofort - manchmal aus dem Gedächtnis, aber meistens mit dem in Buchform mitgeführten Pilzratgeber - bestimmt, ob es essbar und schmackhaft ist, oder giftig und tödlich. Wenn es essbar ist, dann wird es vorsichtig aus dem Boden gezupft und mit dem eigens dafür gekauften Taschenmesser sorgfältig an Ort und Stelle geputzt, um darauf hin sanft im Weidenkorb verstaut zu werden. Der ambitionierte Pilzsammler geht dieser Tätigkeit in der Regel schon seit vielen Jahren nach. Im Lauf der Zeit mutiert er zu einer wandelnden Datenbank über Orte und Stellen mit erhöhtem Pilzwachstum. Dieses Wissen wird von ihm streng gehütet und, wenn überhaupt, höchstens erst am Sterbebett den anwesenden Mitmenschen mitgeteilt. Trotzdem neigt der ambitionierte Pilzsammler aber auch gerne dazu vor anderen mit dem Wissen zu prahlen. Dann erzählt er ganz groß, dass er schon mal so und so viele Pilze von beachtlicher Größe aus dem Wald getragen hat. Meistens ist das jedoch geflunkert und in Wirklichkeit fiel der Schwammerlfund etwas bescheidener aus.
Der Ich-fahr-mal-schnell-Pilze-holen-Typ: Dieser Typus fährt mit seinem Automobil zunächst scheinbar ziellos durch die Landschaft um dann irgendwo am Rand einer dicht von Wald umzingelten Straße zu parken. Meistens sieht man diesen Schwammerlsucher dann in einer dem Anlass nicht angemessenen Kleidung durch das Unterholz streifen, ausgerüstet mit einem Plastiksackerl, welches sich noch vom letzten Einkaufsbummel am Rücksitz befand und in das er nun mehr oder weniger achtlos die erbeuteten Pilze stopft. Dieser Typus operiert in einem Radius von maximal 500 Meter um sein geparktes Auto herum, da er sich von diesem nur ungern weit entfernt. Sein Handeln wird allein von der Hoffnung getrieben in unmittelbarer Zukunft bei einem köstlichen Schwammerlgericht am Esstisch sitzen zu können. Eingesammelt wird meistens alles was irgendwie nach Pilz aussieht und erst zu Hause wird die Beute in „essbar“ und „weiß nicht“ aufgeteilt.
Die organisierten Pilz-Banden: Diese Art von Schwammerlsucher tritt in der Regel in größeren Rudeln auf und durchstreift systematisch den Wald auf der Suche nach Pilzen. Sie interessieren sich nicht für die spätere Zubereitung der Pilze zu schmackhaften Speisen oder für die idyllische Waldlandschaft durch die sie bei der Suche streifen. Ihre Motivation ist rein ökonomischer Natur. Sie interessieren sich nur für den finanziellen Gewinn, denn sie durch den Verkauf der gesammelten Ware am Markt erzielen. Getrieben vom Kapitalismus sammeln die Pilz-Banden die Wälder leer. Von den anderen Schwammerlsuchern können sie sich daher keine Sympathiebekundungen erwarten. Besonders die ambitionierten Pilzsammler sehen in den Pilz-Banden verabscheuungswürdige Kreaturen, die Raubbau an der Natur betreiben. Die Aktivitäten der Pilz-Banden sind nicht nur moralisch fragwürdig, sondern auch illegal. Eigentlich darf man die Pilze nur in haushaltsüblichen Mengen aus den Wald tragen, was je nach Gesetzeslage so ungefähr 2 kg wären. Pilz-Banden überschreiten in der Regel diese Grenze bei weitem. Aus diesem Grund bekommen sie manchmal auch Probleme mit der ortsansässigen Exekutive.
So unterschiedlich die einzelnen Schwammerlsucher auch sein mögen, so haben sie doch Gemeinsamkeiten. Neben der gleichen gebückten Körperhaltung in die sie beim durchwandern des Unterholzes verfallen, müssen sie sich auch vor den gleichen Feinden in Acht nehmen, die ihnen in den dunklen Wäldern auflauern. Neben rauflustigen Bären und blutrünstigen Ebern, die man jedoch nur sehr sehr sehr selten in freier Wildbahn antrifft, sind das vor allem die Forstangestellten der holzgewinnenden Industrie sowie kleine garstige Waldbauern. Am harmlosesten für den gemeinen Schwammerlsucher sind da noch die Förster. Die beschränken sich meistens darauf jene Pilzsammler rechtlich zu belangen, die ihre Benzinkutschen verbotenerweise auf privaten Forstwegen drapiert haben. In ganz schlimmen Fällen wird von den Förstern eventuell noch ein Teil der Beute von den Sammlern konfisziert, sollte diese die 2 kg Marke überschreiten. Gefährlicher sind da schon die etwas seltener anzutreffenden kleinen garstigen Waldbauern. Neben einer saftigen Anzeige wegen Ruhestörung neigen manche Exemplare dieser Gattung auch dazu dem arglosen Pilzsammler in ihrem Revier heimlich aufzulauern. Sollte einem Schwammerlsucher das Unglück ereilen in die Fänge eines solchen garstigen Zeitgenossen zu geraten, dann kann er sich schon mal seelisch darauf vorbereiten mit anzusehen, wie seine mühevoll gesammelten Pilze mittels beherzten Fußtritten zurück in den Waldboden gestampft werden.
Auch nicht gerade als Freund der Pilzsammler kann man die Jägerschaft bezeichnen. Wenn ein Jäger nach stundenlangem Ausharren in seinem Verschlag endlich den lang ersehnten kapitalen Hirsch vor sein Visier bekommt und er dann machtlos zuschauen muss, wie plötzlich ein Schwammerlsucher von der Seite in die Szenerie stolpert und dabei die begehrte Jagdtrophäe in die Flucht schlägt, dann wird so mancher Jäger in dieser Situation in Versuchung geraten eventuell den Kopf des Störenfrieds auf ein Brett zu nageln und über den Kamin zu hängen. Ob ein Jäger schon mal dieser Versuchung erlegen ist, ist nicht bekannt.
Somit bin ich nun am Ende meines kurzen Essays angelangt und mir ist durchaus bewusst, dass ich damit des Phänomen Schwammerlsucher nur sehr oberflächlich beleuchtet habe. Mit diesem Thema könnte man noch viele Seiten füllen, aber das sollen andere machen. Ich bin jetzt nämlich müde und werde nun schlafen gehen.
PS: Das ist wahrscheinlich der längste zusammenhängende Text, den ich bisher in meinem Leben geschrieben habe und der längste auf dieser Website sowieso.
Mittwoch, September 12, 2007
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